Bereits im 20. Jahrhundert wurde die Bezeichnung „Gehirnwäsche“ von Wissenschaftlern aus dem Bereich Neue Religiöse Bewegungen als Pseudowissenschaft entlarvt. Jetzt kehrt sie in Japan zurück.
Von Massimo Introvigne
Artikel 4 von 4. Lesen Sie Artikel 1, Artikel 2 und Artikel 3.
Read the original article in English.


Das neue japanische Spendengesetz enthält den sehr problematischen Artikel 3.1, der die Möglichkeit erwähnt, dass Spenden durch „Unterdrückung des freien Willens“ der Spender erlangt werden.
Wie es dazu kam, dass diese Worte in das Gesetz aufgenommen wurden, ist eine Geschichte, die von japanischen Medien erzählt wurde. Während der Diskussion über das Gesetz forderten einem Bericht zufolge einige Oppositionsparteien und Anwälte eine Klausel, die die Stornierung von Spenden und die Bestrafung von Mitgliedern verdächtiger Organisationen ermöglichen würde, wenn Geld als Ergebnis von „Gehirnwäsche“ gespendet oder gezahlt wurde. Als Reaktion auf diese Forderungen beschloss die Regierung [von Premierminister] Kishida, eine Bestimmung aufzunehmen, die die Gruppen auffordert, den freien Willen von Spendern nicht zu unterdrücken.
Ich finde hier eine Bestätigung dafür, dass meine anfängliche Auffassung, Japan wolle in seiner Gesetzgebung etwas Ähnliches wie das diskreditierte Konzept der „Gehirnwäsche“ einführen, richtig war. Die Frage ist, ob es wirklich möglich ist, im Rahmen eines Dialogs zwischen einem um eine Spende werbenden Anhänger einer Religion und einem potenziellen Spender „den freien Willen“ des Letzteren zu unterdrücken. Ich würde den Fall ausklammern, wenn Spender geistig unzurechnungsfähig sind, denn in diesem Fall ist ihr Wille im Allgemeinen nicht „frei“, so dass es keinen freien Willen gibt, der unterdrückt werden könnte.
Wenn wir von normalen, geistig kompetenten Personen ausgehen, ist die Frage der „Gehirnwäsche“, wie sie angeblich von religiösen Bewegungen praktiziert wird, eine der am meisten diskutierten unter Religionswissenschaftlern. Eine überwältigende Mehrheit von ihnen kam bereits im vergangenen Jahrhundert zu dem Schluss, dass es sich bei „Gehirnwäsche“ um eine pseudowissenschaftliche Theorie handelt, die zur Diskriminierung unpopulärer religiöser Minderheiten eingesetzt wird.
In der Antike wurde behauptet, dass einige Religionen so fremdartig seien, dass Menschen, die bei klarem Verstand sind, sich ihnen nicht anschließen könnten. Konvertiten müssten durch den Einsatz von schwarzer Magie verhext worden sein. Diese Theorie wurde im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa gegen Häretiker, in China gegen Bewegungen, die seit dem Mittelalter als „xie jiao“ („heterodoxe Lehren“, heute oft mit „böse Sekten“ übersetzt) bezeichnet werden, und später in Japan gegen Christen eingesetzt. Im 19. Jahrhundert wurde schwarze Magie als Hypnose säkularisiert, und es wurde zum Beispiel behauptet, dass Mormonen ihre Konvertiten durch Hypnose gewonnen hätten.
„Gehirnwäsche“ war ein Wort, das die CIA während des Kalten Krieges für ihre Propaganda gegen China und die Sowjetunion prägte. Edward Hunter, ein CIA-Agent, der einen Tarnjob als Journalist bei den „Miami Daily News“ hatte, kreierte 1950 das Wort „Gehirnwäsche“ und behauptete, es handele sich um eine mysteriöse Technik, welche die Sowjets und die Chinesen verwendeten, um „normale“ Bürger in kommunistische Fanatiker zu verwandeln.


Als die hitzigen Kontroversen der ersten Jahre des Kalten Krieges nachließen benutzten ironischerweise linke Psychiater und Kommunisten in den folgenden Jahrzehnten das Wort „Gehirnwäsche“, um nicht den Kommunismus, sondern die Religion anzugreifen. Sie behaupteten, dass die meisten religiösen Bekehrungen nicht erklärt werden können, ohne dass dabei eine finstere Technik der mentalen Manipulation im Spiel ist.
Während der Psychiater William Sargant in seinem Buch „Battle for Mind“ von 1957 argumentierte, dass Gehirnwäsche von allen Religionen angewandt werde, wobei er das Christentum als das ungeheuerlichste Beispiel hervorhob, behaupteten in den folgenden Jahrzehnten, in denen die Anti-Sekten-Bewegung wuchs, Sektengegner wie die amerikanische Psychologin Margaret Singer, dass nicht alle Religionen Gehirnwäsche betreiben. Nur einige tun dies: Sie sind „Sekten“, während legitime „Religionen“ ihre Anhänger keiner Gehirnwäsche unterziehen.
Es folgten heftige Kontroversen, sowohl in der Wissenschaft als auch vor Gerichten. Die meisten Religionswissenschaftler warfen Singer und ihren Anhängern intellektuellen Betrug vor und argumentierten, dass es nicht die Überzeugungstechniken bestimmter religiöser Bewegungen seien, die den Sektengegnern missfielen, sondern deren Lehren. Da es in demokratischen Ländern nicht möglich war, die Doktrinen vor Gerichten anzugreifen, begannen sie zu behaupten, dass die Bewegungen, die sie ablehnten, ihren Anhängern durch Gehirnwäsche schadeten – offensichtlich eher ein säkularer als ein religiöser Vorwurf.


Eileen Barker, die die moderne wissenschaftliche Erforschung neuer religiöser Bewegungen begründete, schrieb kürzlich: „Diejenigen, die einen Begriff wie Gehirnwäsche verwenden, beurteilen häufig eher das Ergebnis als den Prozess, durch den es erreicht wird. Sie argumentieren in Wirklichkeit damit, dass es nur schwer zu akzeptieren ist, dass jemand dieses Ergebnis aus freiem Willen erreichen konnte.“
Barker hatte auch in ihrer bahnbrechenden Studie über die Vereinigungskirche, die sie 1984 veröffentlichte, gezeigt, dass der Prozentsatz der Konvertiten unter denen, die von Reverend Moons Bewegung angesprochen wurden, und der Prozentsatz derjenigen, die nach einigen Jahren spontan austreten, ähnlich hoch ist wie in den etablierten Religionen und verhältnismäßig gering ist. Diese Daten sind nicht mit der jetzt in Japan neu aufgegriffenen These vereinbar, dass die Vereinigungskirche in der Lage sei, „den freien Willen“ ihrer „Opfer“ zu „unterdrücken“.


Der Kampf wurde schließlich von den Wissenschaftlern gewonnen, die gezeigt hatten, dass es keine „Gehirnwäsche“ und keine Unterdrückung des freien Willens gab. In den meisten demokratischen Ländern lehnten Gerichte Theorien über Gehirnwäsche ab. In Italien strich das Verfassungsgericht 1981 den Artikel des Strafgesetzbuches über „plagio“ (ein der „Gehirnwäsche“ ähnliches Verbrechen, das vom faschistischen Regime in italienisches Recht eingeführt worden war). In den Vereinigten Staaten setzte die „Fishman“-Entscheidung des US-Bezirksgerichts für den nördlichen Bezirk von Kalifornien aus dem Jahr 1990 der Verwendung von Gehirnwäsche-Theorien zum Angriff auf neue religiöse Bewegungen effektiv ein Ende. Wie William Ashcraft 2018 in seinem maßgeblichen Lehrbuch über die akademische Erforschung neuer religiöser Bewegungen feststellte, musste sich die winzige Minderheit von Wissenschaftlern, die an „Gehirnwäsche“ glaubten und die Anti-Sekten-Bewegung unterstützten, von der Hauptrichtung der Religionswissenschaft abspalten und einen dissidenten Zweig von „Sektenstudien“ gründen, die jedoch „nicht zum Mainstream der Wissenschaft“ gehören.
Frankreich bildete aufgrund seiner starken säkularen humanistischen Traditionen eine Ausnahme. Als 2001 ein Gesetz gegen „Sekten“ verabschiedet wurde, überzeugten aber selbst dort weit verbreitete Proteste von Akademikern, Mainline-Religionen und hochrangigen Richtern das Parlament, die Verweise auf „mentale Manipulation“ im ursprünglichen Entwurf fallen zu lassen, obwohl leider die Erwähnung des Zustands der „psychologischen Unterwerfung“, in den einige „Opfer“ gebracht werden könnten, beibehalten wurde. Wie Susan Palmer und andere Wissenschaftler gezeigt haben, war die Durchsetzung des französischen Rechts bei den Schwachen stark und bei den Starken schwach. Es führte zur Verurteilung und Inhaftierung von Anführern kleiner Gruppen, die nicht über die Mittel verfügten, die besten Anwälte und Experten zu mobilisieren, während größere Organisationen in der Lage waren, sich zu wehren und die Gerichte davon zu überzeugen, dass die Behauptung, religiöse Bewegungen würden mächtige Techniken zur Unterdrückung des freien Willens ihrer Anhänger einsetzen, nur ein pseudowissenschaftlicher Mythos ist.
Es überrascht nicht, dass japanische Sektengegner vorschlugen, Japan solle eher dem schlechten Beispiel Frankreichs und seinem Gesetz von 2001 folgen als dem positiven Beispiel der Vereinigten Staaten und anderer Länder mit einer stärkeren Tradition der Religionsfreiheit. Ist die „Unterdrückung des freien Willens“ von Konvertiten, Gläubigen oder Spendern durch Techniken möglich, die man als „Gehirnwäsche“, „Gedankenkontrolle“ oder vielleicht „spirituellen Verkauf“ bezeichnen könnte? Die Antwort der überwältigenden Mehrheit der Wissenschaftler, die sich ernsthaft mit neuen religiösen Bewegungen beschäftigt haben, ist Nein. Der Verweis auf die Unterdrückung des freien Willens im neuen japanischen Gesetz wird nur Verwirrung stiften, endlose Rechtsstreitigkeiten auslösen und die Religionsfreiheit ernsthaft bedrohen.